A04 - Modellierung der Fügbarkeit als Funktion des Bindemechanismus
Das Multimaterial-Design und die Wandlungsfähigkeit einer Prozesskette erfordern Fügeverbindungen mit gezielt einstellbaren mechanischen, thermischen, chemischen oder elektrischen Eigenschaften, wobei bisherige Betrachtungen vordergründig die mechanischen Eigenschaften adressieren. Durch die Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten aus Anforderungen, Werkstoffen und Bauteil- bzw. Fügestellengeometrie ist eine umfassende empirische Ermittlung dieser Fügestelleneigenschaften nicht möglich. Die in Datenbanken bereits hinterlegten technologischen Kennwerte, wie beispielsweise die Scherfestigkeit in Abhängigkeit der verwendeten Werkstoffe und der Fügestellengestaltung, dienen oftmals nur als ein Richtwert, der anhand der real ausgeführten Fügeverbindung experimentell überprüft werden muss. Ähnlich verhält es sich mit den thermischen und elektrischen Kennwerten sowie den real erzielten Eigenschaften. Dieses etablierte und empirisch geprägte Vorgehen hat zur Folge, dass bisher kein Modell existiert, das alle Fragestellungen der Fügbarkeit, das heißt der Werkstoffe (Fügeeignung), der Konstruktion (Fügesicherheit) und der Fertigung (Fügemöglichkeit) betrachtet und eine Berechnung der erzielbaren Eigenschaften erlaubt.
Das beantragte Teilprojekt A04 hat daher zum Ziel, die physikalischen Eigenschaften der Fügeverbindung in Abhängigkeit der drei Bindemechanismen Kraftschluss, Formschluss und Stoffschluss mittels eines geeigneten Modellierungsansatzes zu beschreiben. Die wissenschaftliche Fragestellung besteht in der quantifizierbaren Formulierung der einzelnen Bindemechanismen auf Basis von Energien und Energieströmen, welche bisher nicht verfügbar ist. Dabei wird zwischen zugeführter, gespeicherter und dissipierter Energie unterschieden. Die skalaren Energiegrößen sowie die gerichteten Ströme sind summierbar, sodass die Energiebilanzen genutzt werden können, um die einzelnen Beiträge der Bindemechanismen zu berechnen und mit den resultierenden Eigenschaften zu korrelieren. Diese energetische Betrachtung ermöglicht eine Berechnung der Zusammenhänge entlang der Kausalkette „Fügestellenanforderung – Bindemechanismus – Energie – Fügeparameter“. Damit kann die Wandlungsfähigkeit bzw. Adaptierbarkeit der mechanischen Fügetechnik verbessert werden. Das Projekt beinhaltet somit Fragestellungen der Fügesicherheit, Fügeeignung und der Fügemöglichkeit.
Im Rahmen des Teilprojekts werden zunächst am Beispiel von Clinchverbindungen die Anteile der drei Bindemechanismen Kraftschluss, Formschluss und Stoffschluss analysiert. Letztgenannter Bindemechanismus ist in der mechanischen Fügetechnik zwar nicht erwünscht, kann aber dennoch ungewollt auftreten und dabei mechanische, thermische oder elektrische Lasten übertragen. Aus diesem Grund muss der Stoffschluss in der Analysephase mitbetrachtet werden. Die Analyse erfolgt auf Basis von Finite-Element-Simulationen und experimentell durchgeführten Belastungstests, um die Anteile der Bindemechanismen zu verifizieren. Anschließend erfolgt die Korrelation zwischen den Eigenschaften einer Fügeverbindung, z. B. der Festigkeit im Kopfzugversuch, und den Anteilen der Bindemechanismen. Diese wechselseitige Beziehung wird dabei mittels approximierender mathematischer Gleichungen formuliert, die anschließend physikalisch auf Basis der Energien und Energieströmen interpretiert werden. Die damit erreichte Beschreibung des Zusammenhangs von Eigenschaft der Fügeverbindung und dem Bindemechanismus sowie der Energiebilanz wird anschließend mittels metallografischer Analysen und ausgesuchter technologischer Tests sowie der Messung des elektrischen Widerstands gefügter Bauteile, experimentell überprüft. Im abschließenden Syntheseschritt erfolgt die Formulierung des Modells. Dabei sollen sowohl phänomenologische Ansätze zur Beschreibung der Effekte als auch analytische Ansätze verfolgt werden. Durch die beiden Modellierungsarten werden unterschiedliche Simulationsweisen ermöglicht. Die phänomenologische Modellierung kann unter vereinfachenden geometrischen Annahmen zur ersten, schnellen Fügestellenauslegung und -bewertung verwendet werden. Die analytische Modellierung ermöglicht die präzise Berechnung auf Basis von Finite-Element Simulationsergebnissen im post-processing, d. h. die interessierenden Größen werden nachträglich berechnet. Alternativ ist die Implementierung der Gleichungen in das Finite-Element-Programm zur direkten Nutzung der Ergebnisgrößen im Berechnungsablauf möglich.
Das Teilprojekt kooperiert eng mit den Projekten, die sich mit der Auslegung der Fügeverbindungen beschäftigen. Gegenstand der Kooperation ist die gegenseitige Verifikation der unterschiedlichen, methodisch voneinander abweichenden Modellierungs- und Auslegungsstrategien. Die von diesem Teilprojekt bereitgestellten phänomenologischen Gesetzmäßigkeiten erlauben dabei den anderen Teilprojekten die Plausibilitätskontrolle und Modelladaption. Weitere Kooperationen sind mit den Teilprojekten geplant, die die Charakterisierung und Beschreibung des Schädigungsverhaltens der Fügestelle betreiben. Hier ist der Informationsaustausch hinsichtlich der sich über die Lebensdauer der Fügestelle ändernden Anteile der Bindemechanismen vorgesehen. Des Weiteren ist die Zusammenarbeit mit den Projekten geplant, die eine Sensitivität der Prozesskette betrachten und hierbei insbesondere das Ursache-Wirkungsprinzip adressieren. Gegenstand der Zusammenarbeit ist die Modellvalidierung und Robustifizierung der Prozesse bzw. der gesamten Prozesskette. Die jeweiligen Kooperationen sind in den Arbeitspunkten erwähnt und in Kapitel 3.5 näher beschrieben.